von RA Dr. Stefan Rinke | 19.06.2024
Bund und Länder starten die Erprobung von Online-Verfahren, die von der Verhandlung bis zum Erlass von Entscheidungen vollvirtuell ablaufen können.
Der Bundestag hat nach langen Verhandlungen bis hin zum Vermittlungsausschuss das „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ verabschiedet. Eine Neuerung betrifft die Möglichkeit, vollvirtuelle Videogerichtsverhandlungen auf den Weg zu bringen, wofür das Gesetz in § 16 die Bundesregierung sowie die Landesregierungen ermächtigt, eine entsprechende Verordnung „zum Zwecke ihrer Erprobung“ zu erlassen. Danach findet eine „Videoverhandlung (§ 128a der Zivilprozessordnung) [] als vollvirtuelle Videoverhandlung statt, wenn alle Verfahrensbeteiligten und alle Mitglieder des Gerichts an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung teilnehmen und der Vorsitzende die Videoverhandlung von einem anderen Ort als der Gerichtsstelle aus leitet.“
Noch vor der Beschlussempfehlung durch den Bundesrat hat das Bundesjustizministerium (BMJ) einen entsprechenden Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ veröffentlicht. Danach soll ein „Online-Verfahren“ für Zivilprozesse mit einem Streitwert bis zu 5.000 Euro getestet werden, was im Zuge der geplanten Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwertes auf 8.000 Euro noch entsprechend angepasst werden dürfte. Dies beträfe demnach hauptsächlich Zahlungsansprüche und einfache Vertragsstreitigkeiten.
Sämtliche Verfahrensschritte, einschließlich der Einreichung von Klagen, Schriftsätzen und Beweismitteln sollen digital erfolgen können. Dafür soll zum einen die bestehende Infrastruktur zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) genutzt werden, aber auch eine spezielle Online-Plattform dafür entwickelt werden. Die mündliche Verhandlung könnte somit komplett durch Videokonferenzen ersetzt werden, wobei auch die Richter online teilnehmen und ihre Entscheidungen, Beschlüsse usw. sogar digital übermitteln können.
Die Erprobung des Online-Verfahrens ist auf zehn Jahre angelegt und wird vom BMJ begleitet, in dem der Bund zusammen mit interessierten Ländern und Gerichten die Entwicklung und Erprobung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens koordiniert. Derzeit liegt der Referentenentwurf bei den Ländern, wobei sich bereits acht Länder und elf Gerichte dem Pilotprojekt angeschlossen haben.